Geschichte der Burg Balduinstein

Obwohl eigentlich Zeit ihres Bestehens relativ unbedeutend und auch nie Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, hat die Burg eine wechselvolle Geschichte durchlebt.
Dank Brecht, einem der Mitbegründer der Jugendburg, steht sie nun hier geschrieben: von einem Bischof, der die Errichtung einer modernen Burganlage auf fremdem Land befiehlt, von der Erweiterung von Burg und Ort zur Stadt, vom schleichenden Verfall und vom wechselhaften Schicksal im vorvorigen Jahrhundert, bis sie schließlich in unsere Hände gelangte...

Burg Balduinstein verdankt ihre Entstehung einer politischen Auseinandersetzung zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts. Sie ist nach Balduin von Luxemburg (1285 - 1354), Erzbischof und Kurfürst von Trier, benannt.

Balduin war der jüngste Sohn des Grafen Heinrich VI. von Luxemburg (1253 - 1288); er wurde schon mit 22 Jahren, während seines Studiums (1299 - 1308) an der pariser Universität zum Erzbischof von Trier gewählt und Pfingsten 1308 inthronisiert. Als fast gleichzeitig König Albrecht I. von seinem Neffen Johannes Parricida Ermordet worden war, erreichte Balduin durch seine politische Klugheit, daß die sieben deutschen Kurfürsten einstimmig seinen ältesten Bruder Heinrich (1278 - 1323) zum deutschen König wählten, der als Heinrich VII. den Thron bestieg und 1312 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Aber schon während dieser Italienfahrt, auf der ihn Balduin begleitete, starb Kaiser Heinrich 1313 in Siena, wahrscheinlich an Malaria.

Bei der nun notwendig gewordenen erneuten Königswahl konnten sich die Kurfürsten nicht einigen. Balduin hatte nur vier Andere auf seiner Seite; sie wählten 1314 Ludwig von Bayern (1285 - 1347) zum König. Die Übrigen hatten sich für Friedrich von Österreich entschieden. In gleicher Weise waren die Kleineren deutschen Fürsten und Grafen in eine bayrisch-luxemburgische und eine österreichische Partei gespalten. Zu Letzterer gehörte auch der Graf von Westerburg, der auf der Schaumburg residierte. Um diesem Gegner den Versorgungsweg zur Lahn abzuschneiden, baute Balduin 1319/20 an der engsten Stelle des Holzbachtals auf einen Felsklotz eine Burg, die ihm gleichzeitig als Verwaltungssitz für die östlich des Rheins gelegenen Besitztümer des trierer Erzstiftes dienen sollte. Nach diesem mächtigen Felsvorsprung nannte er sie Balduinstein. Sie wurde in der erstaunlich kurzen Zeit von nur einem Jahr, und zwar in modernster Art „nach der neuen Weise” errichtet; das bedeutete: als festungsartiges mehrstöckiges großes Wohngebäude mit meterdicken Mauern, während die alte Bauweise nur einen Bergfried vorsah, um den herum sich die Wohn- und Versorgungsbauten gruppierten, die man bei Gefahr und Belagerung verlassen musste, um sich auf dem Bergfried zu verschanzen.

Eine Überlieferung besagt, daß Balduin dem Grafen Westerburg durch einen Herold die Beendigung der Fehde anbot und ihn zum Richtfest der Burg einlud. Der Graf kam tatsächlich, und nach durchzechter Nacht kaufte ihm Balduin das gesamte Gelände ab - er hatte ja auf fremdem Gebiet gebaut -, erwarb die entsprechenden Gerechtsame dazu, und zum Schluss beschlossen sie, am Abhang oberhalb der Befestigungsmauer einen Weinberg anzulegen, dessen Ertrag dem Westerburger zufallen sollte. Dieser Weinberg hat noch bis zum Beginn des 20. jahrhunderts bestanden.

König Ludwig der Bayer setzte sich 1322 in der Schlacht bei Mühldorf gegen die andere Partei durch; er ist als Kaiser Ludwig IV., 1328 in Rom gekrönt, in die deutsche Geschichte eingegangen. Mit Friedrich von Österreich hat er sich ausgesöhnt; sie wurden gute Freunde, was man bei Schiller nachlesen kann.

König Ludwig verlieh bereits 1321 der Burg und dem entstehenden Ort Balduinstein Stadtrechte, nach dem Muster von Frankfurt am Main. Der Nachbarort Diez erhielt sie 1329. In einer breiten Ebene am Zufluß der Aar in die Lahn gelegen, konnte sich Diez gut als Stadt entwickeln und 1979 den 650. Jahrestag seiner Stadtrechte feiern. Balduinstein, in das enge Holzbachtal gezwängt, konnte das nicht. Trotzdem war es, aufgrund dieser Rechte, verpflichtet, Mauern und Tore anzulegen. Am besten erhalten ist davon noch der dicke Turm am Lahnufer, genannt „die Port”, neben dem im 18.Jahrhundert abgerissenen Lahntor. Reste der Lahnmauer sind im Haus gegenüber verbaut. Oben bei der Burg stehen noch ein ganzes Stadttor und der Pfeiler eines anderen, dazu wenige Mauerreste. Ob Balduinstein jemals auf seine Stadtrechte förmlich verzichtet hat, ist nicht bekannt.

Die Burg selbst erhielt zwischen 1320 und 1340 auf der Bergseite, am Fordhang, einen Befestigungsring mit drei Türmen, Mauer und Graben. Der Westturm ist jetzt das Treppenhaus unseres Großen Hauses, der mittlere Turm wurde von uns seit 1978 mit Fachwerk und Glas ausgebaut und dient als begehrtes Gruppenquartier, der Ost-turm wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts als Gärtnerwohnung ausgebaut und ist die eine Hälfte unseres Kleinen Hauses. Die Mauer ist rundherum an drei Seiten noch gut erhalten; der Graben ist zugeschüttet, jedoch als „Felsenraum“ in seinem oberen Teil in unser Großes Haus mit einbezogen und dadurch an dieser Stelle noch eben sichtbar.

Nach Beilegung des Streits mit der Schaumburg diente Burg Balduinstein als Amtssitz und Verwaltungsburg für das Erzstift Trier. Balduin hatte Dietrich von Staffel als Amtmann und Burggraf eingesetzt. Staffel ist ein Dorf nahe bei Limburg; die Staffels waren ein bei und in Limburg alteingesessenes Adelsgeschlecht. Dietrich von Staffel, der sich für den Bau der Burg- und Stadtbefestigung verpflichtet hatte, lieh dem Erzbischof für die Errichtung dieser Bauten 400 Pfund Heller, wofür seine Familie das erbliche Recht erhielt, Burggraf von Balduinstein zu bleiben, bis dieser Betrag von Trier wieder zurückgezahlt sei. Hundert Jahre später liehen die Staffels dem trierer Erzstift weitere 600 Pfund, sodaß sich der Betrag auf 1000 Pfund Heller erhöhte. Dieses Pfandrecht ist nie eingelöst worden. Die Rechte gingen bei aussterben der Familie Staffel im Mannesstamm 1683 durch Erbfolge an die Familie Reiffenberg zu Sayn über, und von dieser wiederum durch Aussterben 1754 an die Freiherren zu Eltz-Rübenach, die schließlich um 1890 Burg und Gelände in private Hände verkauften.

Kurfürst Balduin gehört zu den bedeutendsten Gestalten und Politikern seines Jahrhunderts im ausgehenden deutschen Mittelalter, als 1346 wieder eine Königswahl anstand, erreichte er in Rhens die einstimmige Wahl seines Großneffen Karl (1316-1378), des Sohnes Johanns von Böhmen, aus dem Hause Luxemburg, der als Karl IV. deutscher Kaiser wurde und 1348 in Prag die erste deutsche Universität stiftete. Balduin hat also an der Wahl von drei deutschen Kaisern maßgeblich mitgewirkt. Er starb 1354 in Trier kurz nach einer Zusammenkunft mit Kaiser Karl in Mainz. Er hatte an der Abfassung der „Goldenen Bulle”, dem Reichsgrundgesetz: über die Königswahl, mitgearbeitet, die Karl IV. kurz danach, im Jahre 1356 erließ.

Zu den balduinsteiner Bauten ist noch folgendes zu ergänzen: da die sehr kleine Burgkapelle für die Bewohner des Ortes nicht mehr ausreichte, wurde hundert Jahre nach Errichtung der Burg, neben dem Westturm an die Nordmauer angelehnt, eine etwas größere Burgkapelle gebaut, die am 19. April 1430 als Matthiaskapelle geweiht wurde, nach dem in Trier begrabenen Apostel Matthias. Sie wurde später balduinsteins Pfarrkirche, bis 1776 unten im Ort die Bartholomäuskirche gebaut wurde. Über der Matthiaskapelle entstand zu Beginn dieses Jahrhunderts das Große Haus. Der obere Teil der Kapelle ist jetzt unser Sälchen. In den Pfeiler der Außenwand ist ein altes Wappen eingelassen, vermutlich das der Burggrafenfamilie Staffel.

Wasser ist außer Luft unser lebenswichtigstes Element. Die Burg hatte an der tiefsten Stelle des Geländes natürlich einen Brunnen, und zwar gleich zu Beginn. Er befand sich in einem am Abhang angelegten, 4 bis 7 Meter unter der Erde liegenden, massiv gewölbten Keller, über dem vor hundert Jahren das kleine Kutscherhaus, ein Fachwerkbau, ursprünglich Stall, errichtet wurde. Leider hat einer der Vorbesitzer den Brunnen zugeschüttet und vermauert. Das Kellergewölbe aber, mit einem enormen Halleffekt, ist jetzt unser beliebtester Festraum, vielleicht der älteste Raum der burg überhaupt, von vielen „Kurfürstenkeller”, von uns schlicht „die Pinte” genannt.

Balduinsteins Bedeutung als Verwaltungsburg verringerte sich, nachdem Trier auch die Herrschaft über Limburg erwarb und sich die Verwaltungsaufgaben mehr und mehr dorthin verschoben. Belagert oder Berannt wurde Balduinstein nie. die Burg blieb hauptsächlich Wohnsitz der Burggrafenfamilie. Da Trier an Reparaturen nicht interessiert war und die Staffels weitere Beträge über die 1000 Pfund hinaus nicht hergeben konnten oder wollten, verfielen Teile der Burg. Während des Dreißigjährigen Krieges war sie noch von einem Elternpaar bewohnt; die zwei Söhne waren Domherren in Mainz geworden, eine Tochter war nach Sayn-Reiffenberg verheiratet. Die Söhne hatten nach dem Tod der Eltern vorgeschlagen, die Burg abzureißen, um die Nachbarhäuser unterhalb der Burg nicht zu gefährden; aber auch hierzu war Trier nicht bereit, weil es seine Gelder für andere Bauten benötigte. Schließlich verwertete man alles Inventar, deckte das Dach ab und Räumte die ganze Burg aus, sodaß 1680 nur noch die Mauern standen. Drei Jahre später waren beide Mainzer Domherren gestorben, und Besitz und Rechte gingen an ihren Schwager, Johann Anton von Reiffenberg zu Sayn über. Seitdem ist Balduinstein eine Ruine, die sich Dank ihrer soliden Mauern erstaunlich gut über die letzten dreihundert Jahre gehalten hat. Vieles steht noch bis zum Dachansatz; lediglich ein viertel der Pallasmauer ist vor etwa hundert Jahren eingestürzt.

1890 verkaufte Freiherr Eltz zu Rübenach die Burg und das gesamte Gelände an Wilhelm Spiess. Das Besitztum ist dann während dieses Jahrhunderts durch verschiedene Hände gegangen. Die vier neuen Bauten entstanden: das Kutscherhaus, das Große Haus, das Kleine Haus, und schließlich der Große Saal. Die Häuser dienten als Villa und Stallung, später als Pension, Gaststätte und Hotel. Etwa ab 1971 stand das Gelände zum Verkauf. Wir, das Freie Bildungswerk Balduinstein, haben es seit dem 22. Mai 1974 gemietet und 1979 käuflich erworben. Aufgrund einer bedeutenden Zuwendung seitens der Stiftung „Deutsche Jugendmarke”, die uns den Kauf des Ganzen erst möglich machte, sind wir, laut Grundbuchvermerk, verpflichtet, die Häuser und das Gelände mindestens bis zum Jahre 2004 für Jugendgruppen bereitzustellen und zu nutzen. Das aber war unser Ziel und Vorsatz vom ersten Tage an. Daran wollen wir festhalten und nicht nur bis 2004 durchhalten, sondern, wenn es das Schicksal uns erlaubt, auch weit darüber hinaus: ad multos annos, auf viele Jahre.

 

Brecht Stempel

Ende des 20. Jahrhunderts